Authentizität im Vorstellungsgespräch

„Nennen Sie mir bitte Ihre Stärken und Schwächen“. Obwohl diese Frage in keinem Bewerbungsratgeber fehlt, gehört Sie dennoch zu den meist gestellten Fragen im Vorstellungsgespräch. Sollte ich diese Frage ehrlich beantworten? 

Warum stellen Personaler immer noch diese merkwürdige Frage? Wer legt da schon alle seine Schwächen ehrlich auf den Tisch? Also greift man lieber zu angedichteten Selbstbeurteilungen wie „ungeduldig“ – das klingt engagiert und kommt gut an. Glauben Sie das wirklich?

Ganz ehrlich: inzwischen hat sich selbst unter Neulingen im Personalbereich rumgesprochen, dass diese offensichtlich weit verbreitete Ungeduld nicht hundertprozentig ehrlich gemeint ist. Doch Achtung: Diese Frage ist auch ein Charaktertest. Der Personaler möchte wissen, wer hinter der Fassade des Bewerbers steckt und welcher Mensch ihm gegenüber sitzt. Mit einer offen-sichtlich auswendig gelernten Halbwahrheit gelingt es Ihnen niemals, die Sympathie und das Vertrauen Ihres Gegenübers zu gewinnen.

Natürlich weiß Ihr Interviewer, dass Sie ihm nicht gleich alles über sich erzählen. Aber er möchte wissen, ob Sie schon einmal über sich nachgedacht haben. Haben Sie die Fähigkeit zur Selbstreflexion? Denn diese Fähigkeit ist enorm wichtig, um erfolgreich zu sein. Nur wer sich gelegentlich selbst hinterfragt, kann sich auch verbessern. Wer seine Grenzen nicht kennt, überschätzt seine Möglichkeiten und verspricht, was er nicht halten kann. Und wer seine Stärken nicht kennt, kann diese auch nicht wirkungsvoll einsetzen.

Es wird von Ihnen eine reflektierte und glaubwürdige Antwort erwartet. Jeder mit etwas Menschenkenntnis ausgestattete Personaler gleicht Ihre Antwort mit den anderen Gesprächseindrücken ab. Besonders Ihre nonverbalen Signale sprechen eine ehrliche Sprache und lassen sich von Ihnen nur schwer kontrollieren. Widersprüchlichkeiten zu dem Gesagten irritieren den Gesprächspartner und wecken sein Misstrauen. Und das bedeutet Ihr AUS im Bewerbungsverfahren. Das kann auch nicht verwundern. Was können wir von einem Mitarbeiter erwarten, der schon in der Bewerbung nicht ehrlich ist? Wie wird sich dieser Mensch dann später gegenüber Kunden und Kollegen verhalten?

Doch wem nützt es, wenn der Recruiter im Vorstellungsgespräch feststellt, dass Sie mit Ihren Stärken und Schwächen nicht in das Anforderungsprofil passen? Auf den ersten Blick werden Sie vielleicht bedauern, dass Sie den Job nicht bekommen haben. Doch bei genauerem Hinsehen können Sie darüber glücklich sein. Wenn Sie eine Position antreten, die von Ihnen Fähigkeiten verlangt, über die Sie nicht verfügen – die Sie jedoch vorgespiegelt haben – wird man dort Ihre mangelnde Eignung sehr schnell feststellen. Und dann nutzt das Unternehmen die zweite Phase des Bewerbungsprozesses und kündigt Ihnen während der Probezeit. Gewonnen haben Sie damit gar nichts. Selbst, wenn Sie darüber in der Probezeit hinweg täuschen können, hilft es Ihnen wendig. Sie werden in den folgenden Jahren einem Job ausüben, der Ihren wahren Fähigkeiten nicht in vollem Umfang entspricht. Und das trübt Ihre Erfolgsaussichten und reduziert Ihre Freude bei der Arbeit. Sie steigen morgens gequält aus dem Bett und kommen abends unzufrieden und frustriert nach hause.

Also denken Sie gründlich über sich nach und bleiben Sie bei der Wahrheit. Nutzen Sie scheinbar Sinn entleerte oder langweilige Fragen dazu, sich selbstbewusst und reflektiert darzustellen. Ob am Ende Ungeduld oder Geduld eine Schwäche oder gar ein Problem ist, hängt von den Anforderungen der fraglichen Stelle ab. Ein ungeduldiger Mensch kann in einer Position scheitern, bei der es auf Geduld ankommt. Und genauso wird eine geduldige Person, in bestimmten Aufgaben nicht das erreichen, was einem ungeduldigen Menschen leicht fällt.

Seien Sie authentisch – mit all Ihren Ecken und Kanten. Das gibt Ihnen ein Gesicht in der Menge unter all den stromlinienförmigen Karrieristen.

Autor: Matthias Martens
März 2016

 

Foto: Fotolia

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